Innenraum Nachher Gröne Architektur GmbH
Innenraum Nachher Gröne Architektur GmbH

10. Zweck der Sanierung/Angaben zur Nutzung:
Das Fachwerkhaus aus dem Jahr 1643 gehört zum historischen Kern der Fachwerkstadt Rietberg im Kreis Gütersloh. Seine Nutzung ist seit dem 19. Jahrhundert eine Gaststätte. Die ehemalige Ratschänke überlebte die Wirren der Jahrhunderte und wurde bis zuAnfang der 2000er von der Familie Koch aus Rietberg betrieben. Im Jahr 2009 ging Sie in den Besitz der delbrücker Gastronomenfamilie Strunz über. Das Bauwerk hatte durch unsachgemäße Instandsetzungen und die baulichen Veränderungen schwere Schäden erlitten. Von der ursprünglichen Raumstruktur war nicht viel übrig, die Fachwerkkonstruktion, insbesondere an der der Straße abgewandten Seite, von Feuchteschäden in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Gaststätte selbst atmete noch den Geist der 50er und sechziger Jahre. Familie Strunz entschied sich für eine Umfassende Neuordung der räumlichen Situation und eine behutsame Sanierung der Bausubstanz. Die Nutzung als Gastronomie war von Beginn an klar, das gastronomische Konzept hingegen wurde in Jahrelanger Planung genau auf die historische Substanz zugeschnitten. Viele Entscheidungen fielen erst im Bauverlauf, da sich erst im Prozess die verborgenen Qualitäten des Bauwerks zutage traten.

11. Geschichte und Bedeutung des Denkmals: Das Vierständer Fachwerkhaus gehört zu den ältsten Geäuden im Ortskern der Stadt Rietberg. Seine wechselvolle Geschichte und die Nähe zum historischen Rathaus machen das Bauwerk zu einem wichtigen Baustein in der Stadtgeschichte. In der erhaltenen Baustruktur sind die wechselvollen Jahre des Bauwerks und der Stadt ablesbar. Von der einfachen Architektur des Hallenhauses zur Erbauungszeit im 17. Jahrhundert, die Verzierung und Romantisierung der Fachwerksubstanz im 19. Jahrhundert und der Bruch mit den traditionellen Bauformen in den 1950er Jahren. Die Nutzung als gräfliches Rentmeisterhaus zur Anfangszeit zeigt sich noch in den typischen Strukturen eines Westfälischen Hallenhauses, das jedoch im Vergleich zur bäuerlichen Architektur dieser Zeit reich Ausgestattet war. Im Zuge der Umnutzung zur Gaststätte, wurden die Räume weitestgehend im vorgefundenen Zustand belassen. In den beiden Weltkriegen verdienten die Besitzer mit dem Verkauf von Lebensmitteln, insbesondere Schinken, an die Stadtbevölkerung und Soldaten für die herrschenden Verhältnisse sehr gut, sodass in den 1950er Jahren weitreichende Umbauarbeiten durchgeführt werden konnten. Im Geiste der Zeit wurden große Räume geschaffen und Teile des Fachwerkgefüges im Erdgeschoss durch massive Mauern ersetzt. Im Inneren wurden die Deelenwände teilweise Entfernt und über mächtige Stahlträger abgefangen. Die Hochküche wurde, wie die Deele mit einer Zwischendecke versehen und somit das Gefüge aus hohen und niedrigen Räumen zerstört. Auf die Guten Jahre des Wirtschaftswunders folgte der Niedergang kleinstädtischer Kneipenkultur, was schließlich in der Geschäftsaufgabe der langjährigen Betreiber und dem Kauf des mittlerweile Baufälligen Denkmals durch die Familie Strunz mündete. Mit seiner wechselvollen Geschichte, seinem Alter und seiner Bedeutung für die Entwicklung der Stadt Rietberg stellt das Bauwerk ein wichtiges Zeugnis historischer, baulicher und gesellschaftlicher Entwicklungen dar.

12. Beschreibung des Objektzustandes vor der Sanierung: Das Objekt Rathaustraße 35 war in baulich schlechtem Zustand. Durch falsche Sanierungsmaßnahmen, wie das Aufbringen von Filmbildenden Anstrichen und der Verwendung von Fugendichtmasse wurde das Eichenholz des Fachwerkgerippes stark in mitleidenschaft gezogen. Die ursprüngliche Raumstruktur aus Hoher Deele, der Hochküche und niedrigen Seitenfächern war durch das Einbringen einer durchgehenden Decke nicht mehr erkennbar. Die Deckenbalken waren nicht mehr tragfähig und alle alten Bodenbeläge entweder bereits entfernt oder abgängig. Die Ausmauerungen der Gefache, teilweise auch bauzeitliche Lehmausfachungen waren in einem erhaltenswerten Zustand. Der Kamin in der Hochküche wurde erst im Zuge der Arbeiten wieder freigelegt und war im oberen Teil so stark angegriffen, das eine Sanierung unmöglich wurde. Im alten Ratherrensaal war die Kölner Decke (Lehmstuckdecke) unter einer Abhängung verborgen. Der Nördliche Anbau war in seiner Bausubstanz in Ordnung, musste jedoch vollständig entkernt werden.

13. Beschreibung der Sanierungsmaßnahmen: Die Sanierung des 1643 zeichnet sich insbesondere durch den behutsamen Umgang mit allen Zeitschichten und einer individuellen Behandlung jedes Bauteils aus. Zunächst wurden einbauten ohne Denkmalwert weitgehend entfernt und sowohl in der Deele als auch in der Hochküche die ursprüngliche Deckenhöhe wieder hergestellt. Abgängige Teile wurden zurückgebaut, historisch wertvolle oder ungewöhnliche Bauteile wurden gesichert. Die Kunstvoll geschnitzten Treppenpfosten beispielsweise wurden während der gesamten Bauzeit in unserem Büro gelagert um dann unverändert wieder Ihre alte Funktion einzunehmen. Nachdem die gesunde Substanz freigelegt war und das Raumgefüge wieder erkennbar, wurde für jeden Raum ein Gestaltungskonzept Entwickelt. Dabei sind die Planungen entsprechend des Baufortschritts und den immer neuen Entdeckungen verborgener Qualitäten angepasst worden. Alle Maßnahmen wurden in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege durchgeführt. Die Außenwände wurden teilweise anhand alter Fotografien rekonstruiert. Dabei ist insbesondere die Hochküche zu nennen, die mit Ihren großen Fenstern einen großen Teil zum Erscheinungsbild des Objekts beiträgt. Alle Außenwände wurden mit Lehmbauprodukten gedämmt, je nach Zustand der Wände mit Holzweichfaserplatten oder einer Leichtlehmschüttung. Die Oberflächen der historischen Bauteile wurden oft Roh gelassen und nur soweit wie für den Erhalt der Substanz notwendig repariert. So wurde der unverwechselbare Charakter des Hauses hervorgehoben und die Zeitschichten bleiben ablesbar. Auch Außenseitig wurde bei der Sanierung großer Wert darauf gelegt, dass die Eingriffe sichtbar bleiben und die verschiedenen Zeitschichten jeweils Ihren Raum bekommen. Das neue Fachwerk wurde nicht behandelt, während das Alte Gefüge in einem Dunklen Ton überlasiert wurde. Die Inschrift wurde in Ihrer Alten Form mit Blattgold wieder zum Glänzen gebracht. So zeigt sich die Straßenseite des Bauwerks nun kaum verändert aber mit frischen Farben und kleinen Reparaturen, während die Rückseite die umfangreichen Arbeiten sichtbar macht. Insgesamt standen für die Maßnahmen einerseits ein modernes Flair, andererseits aber auch eine urige, gemütliche Atmosphäre im Mittelpunkt. Die unregelmäßigen Balken und Putzflächen werden durch ein individuelles Beleuchtungskonzept in Szene gesetzt. Als Kontrast setzt sich die Weiße Kante der Galerie, die glatten Außenwände und die klare Form der Theke gegen diese Oberflächen ab. Die Fußböden wurden jedem Raum individuell angepasst. Der Schankraum und die Hochküche wurden mit einer dunklen Handbedruckten Fliese ausgelegt, während die Galerie und der niedrige „Fuchsbau“ mit unbehandelten, sägerauhen Eichendielen belegt wurden. Der Ratsherrensaal wurde mit konisch besäumter gehobelter Eiche in fallenden Breiten dargestellt. Trotz des verschiedenen Umgangs mit den jeweiligen Räumen, wird durch die einfache Materialität, die dezente Farbgestaltung und die wiederkehrenden Elemente historischer Oberflächen ein stimmiges Gesamtgefüge erzeugt. Die Haustechnik beschränkt sich auf eine einfache Heizanlage unter der Verwendung einer Fußbodenheizung im Erdgeschoss, Heizkörpern auf den Galerieflächen und eine einfache Elektroinstallation. Auf eine Lüftungsanlage konnte aufgrund ausreichender natürlicher Lüftung verzichtet werden. Die Sanitäranlagen und die Küche mit Blickbeziehung zum Gastraum sind im seitlichen Anbau aus den 1950er Jahren untergebracht. Aufgrund der vorhanden Raumstruktur wurde aus dem Damen WC ein großer Raum mit Aufenthaltsqualität und perfektem Blick auf die Rathausstraße. Diese Besonderheit kommt besonders zum Karneval zum Tragen, der in Rietberg einer der kulturellen Höhepunkte des Jahres darstellt. Die Sanierungsmaßnahmen und Umbauten an der Rathausstraße 35 sind ein wichtiger Beitrag zum Umgang mit historischer Substanz und zeigen exemplarisch wie durch spannende Raumstrukturen und einfache Reparaturen Qualitäten erzeugt werden, die aus einem historischen Fachwerkhaus ein unverwechselbares Gasthaus mit einzigartiger Atmosphäre machen.

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